Enzyme

Enzyme
Enzyme
 
[zu griechisch en »in« und zýmē »Sauerteig«], Singular Enzym das, -s, Biokatalysatoren, veraltete Bezeichnung: Fermẹnte, in allen lebenden Organismen vorkommende, intrazellulär gebildete, hochmolekulare Eiweißstoffe (Proteine), die chemische Reaktionen beschleunigen, indem sie die Aktivierungsenergie herabsetzen und so den Reaktionsablauf unter den Bedingungen, die in einem Organismus vorliegen (physiologische Bedingungen: niedrige Temperaturen, Normaldruck, wässriges Medium) erst ermöglichen. Die chemische Substanz, die ein Enzym umsetzt, wird als Substrat bezeichnet. Enzyme weisen eine zum Teil hohe Substratspezifität auf, d. h. sie setzen nur ein einziges Substrat um (Schlüssel-Schloss-Beziehung). Es gibt Enzyme, die zwar die gleiche Substratspezifität aufweisen, jedoch unterschiedliche Produkte bilden (Wirkungsspezifität). Da fast alle biochemischen Reaktionen in einem Organismus nur durch Enzymkatalyse (enzymatisch) ablaufen können, beruht die Steuerung des gesamten Stoffwechsels auf der integrierten Regulation der Enzymaktivitäten. Die Neusynthese von Enzymen kann sowohl durch physiologische Substanzen (z. B. Steroidhormone) als auch durch Fremdstoffe stimuliert werden (Enzyminduktion). Sie erfolgt, ebenso wie die Unterdrückung der Enzymsynthese (Enzymrepression) durch Endprodukte einer Synthesekette, auf der Ebene der Transkription.
 
 Vorkommen und Struktur
 
Bis heute sind über 3 000 Enzyme beschrieben. Sie kommen in Körperflüssigkeiten (extrazellulär, Ektoenzyme), im Zytoplasma sowie an oder in Membranen gebunden vor. Sie unterscheiden sich weder qualitativ noch quantitativ von anderen Proteinen. Die Kettenlänge beträgt in der Regel 100 bis 500 Aminosäurereste. Sie können sowohl aus einer Peptidkette (Untereinheit) bestehen (Monomere) als auch aus mehreren gleichen oder unterschiedlichen Peptidketten (Multimere). Ihre physiologische Funktion beruht auf der Art der Verknüpfung der Peptidketten (Sekundär-, Tertiär-, Quartärstruktur), wodurch Zentren besonderer Affinität zu bestimmten Substraten entstehen. - Die meisten Enzyme bestehen aus dem eigentlichen Eiweißanteil, dem Apoenzym und einem Nichteiweiß-Bestandteil, dem Coenzym, das entweder an das Apoenzym fest (kovalent) gebunden (prosthetische Gruppe) oder leicht dissoziabel (Cosubstrat) ist. Beide zusammen bilden das Holoenzym. Die Coenzyme gehören den verschiedensten Stoffklassen an und übertragen häufig funktionelle Gruppen oder Atome vom oder auf das Substrat. Sie unterliegen somit, im Gegensatz zu dem Apoenzym, einer strukturellen Veränderung. Viele Coenzyme sind chemisch mit Vitaminen verwandt, jedoch treten auch Metallionen als Coenzyme auf (z. B. Zink bei der Carboanhydrase, Mangan bei der Arginase), ein wichtiger Hinweis auf die Bedeutung der Spurenelemente im Organismus. - Enzyme treten in großen Mengen in allen lebenden Organismen auf. Sie unterscheiden sich jedoch mehr oder weniger in ihrer Aminosäurezusammensetzung. Sequenzanalysen von Enzymen gewinnen daher auch in der Evolutionsforschung zunehmend größere Bedeutung. Zwei Enzyme unterschiedlicher (genetisch determinierter) Aminosäuresequenz (Primärstruktur), die innerhalb eines Organismus die gleiche Reaktion katalysieren, werden als Isoenzyme bezeichnet. Sie weisen häufig verschiedene Eigenschaften auf: z. B. in der Affinität zum Substrat (ausgedrückt durch die Michaelis-Konstante KM) oder in der maximalen Umsatzgeschwindigkeit (Vmax). Gut untersucht sind die fünf Isoenzyme der aus vier Untereinheiten bestehenden Lactat-Dehydrogenase, die sich aus zwei Peptidketten, A und B, zusammensetzen: A4, A3B, A2B2, AB3, B4. Ihr Vorkommen ist organspezifisch: So liegt beim Menschen im Herzen hauptsächlich A4 und im Muskel B4 vor. Alle zu einer Reaktionsfolge (Stoffwechselkette) gehörenden Enzyme wie z. B. die Enzyme der Glykolyse oder des Zitronensäurezyklus werden als Enzymsystem bezeichnet. Eine spezielle Form sind die Multienzymkomplexe: Aggregate von zusammengelagerten Enzymen, in denen die Zwischenprodukte direkt von Enzym zu Enzym weitergereicht werden. Häufig liegen Enzyme als inaktive Vorstufen (Enzymogene, Zymogene) vor, die durch Spaltung mittels anderer Enzyme in eine aktive Form überführt werden (z. B. Trypsinogen in Trypsin).
 
 Darstellung und Wirkungsweise
 
Die Isolierung von Enzymen aus Geweben sowie deren strukturelle und funktionelle Untersuchung ist Aufgabe der Enzymologie, eines Teilgebietes der Biochemie. Die Anreicherung und Reindarstellung von Enzymen erfolgt nach den Methoden der Proteinchemie durch Differenzialzentrifugation, fraktionierende Fällung, Ionenaustauscher-Chromatographie, Gelfiltration, Affinitätschromatographie und Elektrophorese. Zur Strukturaufklärung dienen Aminosäuresequenzanalyse und Röntgenstrukturanalyse. Die funktionellen und kinetischen Untersuchungen (Enzymkinetik) werden mit spektalphotometrischen und fluorimetrischen Methoden durchgeführt. - Das Enzym bindet das Substrat (S) am aktiven Zentrum, wodurch ein Enzym-Substrat-Komplex (ES) gebildet wird, wandelt es in das Produkt um und gibt dieses sofort wieder frei:
 
Die Reaktionsgeschwindigkeit ist abhängig vom pH-Wert und nimmt mit der Konzentration des Substrats bis zu einem Maximalwert (Substratsättigung) zu. Eine reversible Hemmung von Enzymaktivitäten kann durch Moleküle erfolgen, die strukturelle Ähnlichkeit mit dem Substrat haben und daher mit diesem um die Bindung am aktiven Zentrum konkurrieren (kompetitive Hemmung). Ein Spezialfall dieser Hemmung ist die Produkthemmung, wenn das Produkt gleichzeitig das Substrat der Rückreaktion ist, somit eine Affinität zum aktiven Zentrum besitzt. Bei ausreichend hoher Konzentration kann es daher das Substrat der Hinreaktion aus diesem verdrängen. Während diese Formen der Hemmung reversibel sind, führen einige Fremdstoffe (Enzymblocker, Enzymgifte) zu einer oft irreversiblen Hemmung des Enzyms (Enzymvergiftung). Ein Beispiel dafür ist die Blockierung der Atmungskette durch Kohlenmonoxid oder Cyanid. Neben den Gleichgewichtsenzymen, die Hin- und Rückreaktion katalysieren (z. B. Fumarase), gibt es auch Nichtgleichgewichtsenzyme, deren Reaktionsverlauf irreversibel ist (z. B. Phosphofructokinase 1 und Fructose-1,6-disphosphatase). Letztere haben für die Regulation des Stoffwechsels eine besonders große Bedeutung. Neben dem aktiven Zentrum besitzen sie noch regulatorische Zentren, an die physiologischen Stoffwechselmetabolite gebunden werden, die aktivierend (Aktivatoren) oder hemmend (Inhibitoren) auf die Enzymaktivität wirken können (Effektoren). Eine solche allosterische Enzymregulation ist erkennbar an dem sigmoiden (s-förmigen) Verlauf der Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit von der Substratkonzentration. Da dadurch die Affinität des Enzyms für das Substrat (KM) verändert wird, ist so eine sehr empfindliche Regulation der Enzymaktivität möglich. - Die offizielle Einheit für die Enzymaktivität ist nach der International Union of Pure and Applied Chemistry (IUPAC) das Katal (kat): diejenige Enzymmenge, die 1 Mol Substrat pro Sekunde umsetzt. Da diese Einheit sehr kleine Werte liefert, ist auch noch die 1960 eingeführte »Internationale Einheit« 1 Enzymeinheit = 1 Unit (U) allgemein gebräuchlich: diejenige Enzymmenge, die 1 μmol Substrat pro Minute umsetzt. Von praktischer Bedeutung, v. a. bei der Isolierung und kinetischer Untersuchung der Enzyme, sind ferner die spezifische Aktivität (U pro mg Protein; kat pro kg Protein), die molare Aktivität (auch Wechselzahl: Anzahl der Substratmoleküle, die von einem Enzymmolekül pro Minute umgesetzt werden) und die Volumenaktivität (U pro ml ; kat. pro l ).
 
 Nomenklatur und Klassifikation
 
Früher unterschied man zwei Gruppen von biochemischen Katalysatoren: im Zytoplasma gelöste, aber ohne Mitwirkung der Zelle aktive »Enzyme« und die nicht von der erzeugenden Zelle zu trennenden »Fermente« (z. B. der Hefezelle). Aufgrund der Gewinnung eines zellfreien Hefepresssaftes mit der gleichen katalytischen Wirksamkeit wie die Hefezellen selbst durch E. Buchner (1897) wurde diese Unterscheidung hinfällig. Auch die späteren Bezeichnungen der löslichen Enzyme als Lyoenzyme und der an Zellstrukturen gebundenen Enzyme als Desmoenzyme sind inzwischen ungebräuchlich. Die Klassifikation der Enzyme erfolgt heute nach der Empfehlung der Internationalen Enzym-Nomenklatur-Kommission (Enzyme Commission, Abkürzung EC) in einem Dezimalklassensystem. Nach der Wirkungsspezifität wurden sechs Hauptgruppen festgelegt, die je nach beteiligtem Substrat und Coenzymen weiter in Enzymgruppen, Enzymuntergruppen und Serien unterteilt werden. - Die Benennung der Enzyme erfolgt durch Kombination ihres Substrats (und gegebenenfalls ihres Coenzyms), ihrer Wirkungsspezifität und der Endsilbe -ase. So ist ATP-D-Hexose-6-phospho-Transferase (E. C. 2.7.1.1.) die Bezeichnung des Enzyms, das die Reaktion
 
katalysiert. Daneben sind jedoch auch inoffizielle, kürzere Bezeichnung gebräuchlich (Hexokinase).
 
 Medizinische und technische Bedeutung
 
Viele Stoffwechselanomalien beruhen auf dem genetisch bedingten und somit erblichen Funktionsausfall bestimmter Enzyme (Enzymdefekte, Enzymopathien), der gegebenenfalls zur Blockierung einer ganzen Stoffwechselkette führen kann (z. B. Albinismus, Phenylketonurie). - Die Kenntnis der enzymatischen Ausstattung der verschiedenen Organe (Enzymmuster) ist von hohem diagnostischem und therapeutischem Wert (Enzymdiagnostik). - Die technische Anwendung von Enzymen hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Dies ist bedingt durch neuere Methoden der Gentechnologie, die eine Synthese zahlreicher Enzyme durch Mikroorganismen ermöglicht und auch zu der explosionsartigen Entwicklung der Biotechnologie geführt hat. Früher wurden die Enzyme fast ausschließlich aus tierischen und pflanzlichen Geweben in komplizierten Verfahren mit geringer Ausbeute isoliert; die heute meist übliche Gewinnung aus Mikroorganismen ist schneller, billiger und methodisch einfacher. Die Vorteile enzymkatalysierter Reaktionen liegen in den milden Bedingungen, unter denen sie ablaufen, sowie in der hohen Wirkungsspezifität, die zu einer hohen Ausbeute und Reinheit des Produktes führt. Einsatzgebiete sind Arzneimittelherstellung, Lebensmittelverarbeitung, chemische Analytik, Prozesskontrolle, Abwasserüberwachung, Energiegewinnung sowie Teilbereiche der Papier-, Textil- und Waschmittelindustrie. 1980 betrug z. B. die Jahresproduktion an reinem Enzymprotein aus Bacillus licheniformis rd. 300 t α-Amylase (verwendet zur Glucoseproduktion sowie in der Brennerei-, Brau- und Textilindustrie) und 500 t Protease (für die Waschmittel-, Käse- und Backwarenherstellung sowie in der Lederindustrie).
 
 
Methods in enzymology, hg. v. S. P. Colowick u. N. O. Kaplan, auf zahlr. Bde. ber. (New York 1955 ff.);
 T. E. Barman: Enzyme handbook, 2 Bde. u. Suppl.-Bd. (Berlin 1969-74);
 
Enzyme engineering (New York 1972 ff.);
 
Methods of enzymatic analysis, hg. v. H. U. Bergmeyer u. a., 12 Bde. u. Reg.-Bd. (31983-87);
 H. Wrba u. O. Pecher: E. Wirkstoffe der Zukunft (Wien 1993).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Enzyme: Funktionen und Normwerte von einigen Enzymen
 

Universal-Lexikon. 2012.

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  • enzyme — [ ɑ̃zim ] n. f. ACAD. ou m. • 1878; gr. en « dans » et zumê « levain » ♦ Biochim. Substance protéique qui catalyse, accélère une réaction biochimique. ⇒ apoenzyme, coenzyme; vx diastase, ferment, zymase. Il existe un grand nombre d enzymes… …   Encyclopédie Universelle

  • Enzyme X — ein niederländisches Hardcore Techno Label, das zu Enzyme Records gehört (das wiederum ein Sublabel von Cardiac Music BV ist). Die Besonderheit bei Enzyme X ist, dass alle Musiker des Labels unter gleichem Namen Tonträger veröffentlichen. Der… …   Deutsch Wikipedia

  • enzyme — en zyme ([e^]n z[imac]m), n. [Pref. en (Gr. en in) + Gr. zy mh leaven.] (Physiol. Chem.) A protein produced by a living organism, capable of catalyzing a chemical reaction. Almost all processes in living organisms require some form of enzyme to… …   The Collaborative International Dictionary of English

  • Enzyme — (griech.), eiweißartige Körper, die fermentartig wirken, in Pflanzen und Tieren weit verbreitet sind und in deren Lebensprozeß eine große Rolle spielen. Über ihre Zusammensetzung ist nichts Sicheres bekannt, über gemeinsame Eigenschaften läßt… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Enzyme — Enzyme, von der Zelle hergestellte Biokatalysatoren, die den Ablauf chemischer Reaktionen beschleunigen, ohne dabei selbst im Endprodukt enthalten zu sein; sind unentbehrlich für sämtliche Stoffwechselvorgänge lebender Organismen, da sie den… …   Deutsch wörterbuch der biologie

  • enzyme — 1881, as a biochemical term, from Ger. Enzym, coined 1878 by German physiologist Wilhelm Kühne (1837 1900), from Modern Gk. enzymos leavened, from en in (see EN (Cf. en ) (2)) + zyme leaven (see ZYMURGY (Cf. zymurgy)) …   Etymology dictionary

  • enzyme — ► NOUN ▪ a substance produced by a living organism and acting as a catalyst to promote a specific biochemical reaction. DERIVATIVES enzymatic adjective enzymic adjective. ORIGIN from modern Greek enzumos leavened …   English terms dictionary

  • enzyme — [en′zīm΄] n. [Ger enzym < LGr enzymos, leavened < Gr en , in + zymē, leaven (see ZYME)] any of various proteins, formed in plant and animal cells or made synthetically, that act as organic catalysts in initiating or speeding up specific… …   English World dictionary

  • Enzyme — Biocatalyst redirects here. For the use of natural catalysts in organic chemistry, see Biocatalysis. Human glyoxalase I. Two zinc ions that are needed for the enzyme to catalyze its reaction are shown as purp …   Wikipedia

  • Enzyme — Bändermodell des Enzyms Triosephosphatisomerase (TIM) der Glykolyse, eine stilisierte Darstellung der Proteinstruktur, gewonnen durch Kristallstrukturanalyse. Die TIM gilt als katalytisch perfektes Enzym (siehe Enzymkinetik) …   Deutsch Wikipedia

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